Was verstehen wir unter Sprachkritik? Wir definieren unseren Untersuchungsgegenstand:
Sprachkritik definieren wir als Praxis wertender Sprachreflexion und verstehen darunter veröffentlichte und öffentlich zugängliche Äußerungen, in denen Sprecherinnen und Sprecher – explizit oder implizit – eine bestimmte Spracheinstellung, ein bestimmtes Sprachverhalten als angemessene oder unangemessene Konvention bzw. Norm festsetzen (vgl. Felder/Jacob 2014, 142).
Was verstehen wir unter Kritik im Allgemeinen?
Unter Kritik verstehen wir allgemein ›eine wissenschaftliche Stellungnahme‹ und im Besonderen ›eine an Kriterien, Werten und Werturteilen orientierte Beschreibung und gegebenenfalls Beurteilung von Phänomenen‹. Dabei kann negative Kritik (Tadel) und positive Kritik (Empfehlung) unterschieden werden.
Wie wird in der Germanistik Sprachkritik definiert?
In der germanistischen Sprachwissenschaft wurde seit den 1970er Jahren darüber diskutiert, ob und wie Sprache sprachwissenschaftlich kritisiert werden kann. Unter Sprachkritik wurde hier zunächst das deskriptive und kriterien-geleitete Erfassen sprachreflexiver Äußerungen in einer Gesellschaft verstanden. Mit der Jahrtausendwende erweiterte sich das rein deskriptive und kriterien-geleitete Beschreiben und Diskutieren von Äußerungen, die eine bestimmte Sprachgebrauchsnorm postulieren, um eine weitere Herangehensweise. Die in der Gesellschaft konkret vorkommenden Sprachgebrauchsformen mit sprachkritischen Implikationen werden identifiziert und auf einer Metaebene beschrieben und diskutiert, und zwar in historischer und gegenwärtiger Perspektive. Auf der Metaebene schließen Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen nach einer kriterien-geleiteten Diskussion eine Beurteilung und ein Plädoyer für eine bestimmte Position nicht mehr aus. Es wird also mittlerweile versucht, einerseits praktizierte Sprachkritik zu beschreiben und andererseits Sprachkritik selbst zu praktizieren, und zwar nach linguistischen Kriterien der Angemessenheit.
Wie definieren wir Sprachkritik für den europäischen Vergleich?
Der Terminus Sprachkritik stellt im Vergleich zu den anderen Philologien ein Alleinstellungsmerkmal der Germanistik dar. Es findet sich für das Konzept von dem Ausdruck Sprachkritik keine Übersetzungsentsprechung in der englischen, französischen, italienischen, kroatischen oder spanischen Sprache. Dessen ungeachtet gibt es in diesen Philologien eine lange sprachreflexive Tradition des deskriptiven und normativen Beschreibens, Erfassens und Beurteilens von Sprachgebrauchsgepflogenheiten, die aus linguistischer (wissenschaftlicher) und laienlinguistischer Sicht diskutiert und anschließend befürwortet oder abgelehnt werden. Im Unterschied zur germanistischen Tradition sind die anderen Philologien gegenüber Werturteilen und Beurteilungen von sprachlichen Zweifels- und Streitfragen weitaus offener.
Unsere Definition von Sprachkritik als Praxis der wertenden Sprachreflexion will genau diesem Spannungsverhältnis zwischen rein deskriptivem Erfassen von Sprachphänomenen (sprachwissenschaftliche Perspektive) und seiner Beurteilung (Erwartung einer sprachlich und politisch interessierten Öffentlichkeit) gerecht werden. Von daher meint wertend sowohl ›an einem Wertmaßstab messend‹ als auch ›einen bestimmten ideellen Wert zu- oder aberkennend‹. In diesem Zusammenhang meint die Definition Sprachkritik ist eine Praxis der wertenden Sprachreflexion das linguistische und laienlinguistische Beschreiben und Bewerten sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten (Zweifelsfälle, Streitfragen usw.). Durch die Offenlegung der Kriterien und Argumentation trägt die Sprachwissenschaft gemeinsam mit der Öffentlichkeit zu einer Sprachbewusstheit in der Gesellschaft bei (vgl. Janich 2004).
Was verstehen wir unter Europäischer Sprachkritik? Wir definieren unseren Untersuchungsgegenstand in europäischer Perspektive:
Mit dem alles andere als bescheiden wirkenden Etikett der Europäischen Sprachkritik möchten wir eine Programmatik stark machen und nicht ihre Erfüllung postulieren. Die oben dargestellten Zusammenhänge halten wir für hochgradig relevant, und zwar in allen Sprachen. Angesichts der Komplexität der mit der Programmatik verbundenen Phänomene haben wir uns auf wenige Sprachen konzentriert, die wir im Europäischen Zentrum für Sprachwissenschaften und den dort vorhandenen Ressourcen der beteiligten Institutionen – nämlich der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg und des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim – zu bearbeiten in der Lage sind.
Europäische Sprachkritik meint also ein Zweifaches: Neben der Beschreibung (ausgewählter) einzelsprachlicher und (mitunter) nationaler Gepflogenheiten der wertenden Sprachreflexion freuen wir uns in besonderem Maße auf den europäischen Vergleich – genauer die systematische Gegenüberstellung bestimmter Sprachphänomene ähnlicher Natur aus historischer und gegenwärtiger Sicht. Mit dieser Sichtweise beanspruchen wir eine Forschungslücke ansatzweise zu bearbeiten und einem Desiderat gerecht zu werden. Primär beschreiben wir praktizierte Sprachkritik in Europa und streben eine europäische Sprachkritikschreibung an. In kleinen Beiträgen praktizieren wir aber auch selbst Sprachkritik (z. B. zur Verwendungsproblematik von Negerkönig in der Kinderliteratur).
Vor diesem Hintergrund befürworten wir mit Bär 2002 “eine Stärkung und institutionelle Verankerung der Sprachkritik in Deutschland” (Bär 2002, 241), aber vor allem auch in Europa. Damit ist nicht die Einrichtung einer zentralen sprachnormierenden Institution nach französischem oder italienischem Vorbild gemeint, sondern eine Plattform des Austausches und der Diskussion, die Universitäten und intellektuelle Zirkel sprach- und länderübergreifend umfasst. Die Plattform Europäische Sprachkritik Online soll dazu einen Beitrag leisten.